Aus dem Tagebuch des John Floh
Mittwoch, 1. Nov. 17
Bin heute umgezogen. In dem alten Dorf
war mir inzwischen einfach zu viel los. Mimi, meine Frau, wollte
nicht mitkommen. Vermutlich, weil sie sich einen Neuen geangelt hat.
Ich hab sie ja schon seit Wochen immer wieder mit den verschiedensten
Typen flirten sehen. Gewundert hat mich ihre Entscheidung also nicht.
Dafür hat sich Mausi bereit erklärt, mit mir zu kommen und ein
neues Dorf zu gründen. Traurig bin ich also nicht, von Mimi
verlassen worden zu sein. Mausi ist jünger und sehr viel hübscher
als die olle Mimi. Ich hatte sie und ihre ewigen Nörgeleien längst
über.
Erstmal waren wir die neue Insel
erkunden und stellten fest, dass sie sehr viel kleiner ist, als die
alte. Sehr groß wird unser Dorf also nicht werden können. Aber
darüber machen wir uns jetzt noch keine Gedanken. Wichtig ist erst
einmal das Mittagessen und dann werde ich Mausis Geheimnisse
erforschen. Hehehe
Donnerstag, 2. Nov. 17
Nach dem Frühstück erzählte Mausi
von ihrem Verflossenen. Als ob mich das wirklich interessiert hätte.
Dass Frauen aber auch immer dieses Verlangen haben, einen zuzulabern.
Als ob ein Mann nur aus seinen Ohren bestünde. Wird Zeit, dass sie
Kinder bekommt, denn allzu lange halte ich das ewige Geplapper nicht
aus. Sie hätte sich besser eine Freundin mitgenommen, aber keine
wollte sie begleiten. Klar, in einem bestehenden Dorf fühlen sich
Frauen sicherer. Es ist immer eine Freundin zur Stelle, wenn sie eine
brauchen und für die Kinder ist auch immer gesorgt. Ich jedenfalls
hätte nichts dagegen gehabt, 2 Frauen zu haben. Andererseits können
die Eifersüchteleien unter den Weibern einem Mann das Leben ganz
schön versauern. Ich hoffe, Mausi lässt mich nachher nochmal am
Nachwuchs arbeiten. Wenigstens dabei hält sie die Klappe.
Freitag, 3. Nov. 17
Heute hatten wir das erste Erdbeben.
Gerade waren wir beim Mittagessen, als wir durcheinandergewirbelt
wurden und, so schnell es ging, in den ruhigeren Teil der Insel
flüchten mussten. Mausi hätte es beinahe nicht geschafft. Dann
wären all meine Träume vom neuen Dorf zunichte gewesen. Ein
riesiger Stamm traf sie und quetschte sie auf den Grund, doch sie
konnte sich befreien und in Sicherheit bringen. Kurz vor dem
Abendbrot legte sie ihre ersten Eier. Ich denke, dass sie nicht von
mir sind, aber das macht nichts. Je schneller sie Kinder hat, mit
denen sie sich beschäftigen kann, desto schneller habe ich meine
Ruhe. Wenigstens ist seit dem Umzug jedes gezeugte Kind meines.
Sonntag, 5. Nov. 17
Gestern war ein ereignisreicher Tag.
Ich hatte leider keine Zeit, etwas zu notieren. Das werde ich jetzt
nachholen müssen. Schon am Morgen erschütterten uns die ersten
Erdbeben. Stärker als gestern. Mehrmals schrammte der Stamm brutal
durch den Wald und ab Mittag ratterten sogar die Quetschfelsen immer
wieder dort, wo wir gerade aßen. Doch am Abend entdeckten wir den
Ruhegarten, an dem unsere Insel viele Stunden der Nacht und einige
Zeit des Tages verbringt und so beschlossen wir, uns dort
einzuquartieren und die Insel nur zu besuchen, um unsere Mahlzeiten
einzunehmen.
Heute schlüpften die ersten Kinder.
Sie sehen mir nicht sehr ähnlich. Ich denke, sie sind von Mausis
Verflossenem. Nunja, Mimi wird wohl auch noch einen Rutsch meiner
Kinder geboren haben. Also hat ihr Neuer die gleiche Situation, wie
ich. Ich glaube, das ist ausgleichende Gerechtigkeit.
Mausi hat nun alle Hände voll zu tun.
Gleich 8 Kinder schulen und ich vermute, heut Nacht werden nochmal
10-15 schlüpfen. Die erste Generation der Hiergeborenen. Mein Dorf.
Gerade habe ich ein sehr breites und zufriedenes Grinsen im Gesicht.
Ich habe mir eine Spalte gesucht, wo ich meine Ruhe habe und gleich
nach dem Notieren werde ich erstmal ein Nickerchen machen.
Montag, 6. Nov. 17
Hier im Ruhegarten ist jetzt richtig
Trubel. Die Kinder tollen herum und Mausi lächelt mich huldvoll über
ihre Schar hinweg an. Ich bin ein bisschen besorgt, denn unsere Insel
ist schon seit einigen Stunden weg. Mein Magen knurrt und einige der
Kinder haben noch gar nichts essen können, weil keine Köttel da
sind. Wenn wir nichts zu essen bekommen, können wir auch nichts
ausscheiden für sie. Hoffentlich dauert es nicht allzu lange, bis
sie sich verpuppen können, damit sie für sich selbst sorgen können.
Das einzige, was mir an der Dorfgründung ein bisschen missfällt,
ist diese Sorge um die Kinder. Wenn erstmal genug von ihnen da sind,
dass der Verlust eines Einzelnen nicht mehr auffällt, wird alles
leichter.
Oh, ich höre gerade, dass unsere Insel
wiederkommt. Esseeeen.
Nachtrag: Heute hat das Essen etwas
komisch geschmeckt. Bitter irgendwie. Liegt das nur daran, dass ich
so lange nichts zu mir nehmen konnte? Mir ist ein wenig schlecht.
Hoffe, das gibt sich wieder.
Dienstag, 7. Nov. 17
Als Mausi gestern Abend zu mir ins
Lager geklettert ist, erzählte sie mir, dass ihr auch ein bisschen
schlecht sei. Ob mit unserer Insel etwas nicht stimmt? Beim Frühstück
achtete ich dann sehr auf den Geschmack der Mahlzeit, doch außer
diesem bisschen Bitterkeit war nichts außergewöhnliches zu
bemerken. Ich habe übrigens nach dem Frühstück durchgezählt und
festgestellt, dass unsere Kinderschar auf 47 angewachsen ist. Die
letzten 7 scheinen von mir zu sein. Jedenfalls haben sie die selben
feinen Haare an den Seiten, wie ich sie als Larve hatte, während die
der anderen 40 etwas dicker sind. Ich habe sogar unter diesen 40
Unterschiede bemerkt. Mausi scheint also keine besonders treue Frau
zu sein. Ich denke, bei Mimi brauche ich diesbezüglich auch keine
Illusionen haben. Wenn 20% ihrer Kinder von mir sind, kann ich mich
wohl glücklich schätzen. Adieu meine lieben zurückgebliebenen
Kinder. Ich werde euch nie wieder sehen. Aber ich tröste mich damit,
zu wissen, dass es euch gut geht und ihr meinen Samen weitertragt.
Mittwoch, 8. Nov. 17
Als ich nach dem Frühstück in meine
Spalte zurückkehrte, musste ich erst einmal schlafen, denn mir war
ordentlich schwindelig. Die 8 Kinder, die wir zu ihrem ersten eigenen
Essen mitgenommen haben, klagten auch über Schwindel und Übelkeit.
Die andern jammern seit dem essen der Köttel auch, ihnen gehe es
nicht gut. Wir scheinen alle irgendwie krank zu sein. Dabei hatte
Mausi sich nicht einmal hinlegen können, sondern musste den nächsten
Rutsch Kinder gebären. So krank muss das eine Tortur gewesen sein.
Ich möchte nicht Frau sein in dieser Zeit. Jetzt sieht sie ein
bisschen erholter aus. Aber zu ihrer alten Frische hat sie noch nicht
zurückgefunden. Gleich ist Mittagessenzeit, doch irgendwie fürchte
ich mich ein wenig davor, essen zu gehen.
Nachtrag: Heute Nachmittag sind 4 der
Erstgeborenen gestorben. Was stimmt nur mit der Insel nicht?
Donnerstag, 9. Nov. 17
In der Nacht sind 22 weitere Kinder
gestorben. Es scheint eine Epidemie zu sein. Mir geht es auch von Mal
zu Mal schlechter. Oder sollte ich schreiben „von Mahl zu Mahl“?
Jedesmal, wenn wir gegessen haben, leiden wir an Schwindel, Erbrechen
und Bauchweh. Ich hätte auf eine andere Insel warten sollen, doch
die alte war so überfüllt, dass es wirklich Zeit wurde, sich etwas
neues zu suchen, wenn man nicht der Stärkste im Dorf ist.
Nachtrag: Oh weh, der Ruhegarten ist
weg und mit ihm 123 Kinder, die noch in ihren Eiern wohnten oder als
Larven nicht wegspringen und flüchten konnten. Wir anderen haben uns
alle gefunden und sind zur Insel gesprungen, die nicht weit entfernt
lag. Dort verstecken wir uns nun im Wald und geben uns unserer
Verzweiflung hin.
Sonntag, 12. Nov. 17
Ich bin allein. Mausi und all meine
Kinder sind tot. Sie siechten im Wald einer nach dem anderen dahin.
Und ich werde wohl auch sterben. Ich kann kaum noch schreiben, weil
meine Kraft weg ist. Ich fühle mich, wie Urgroßvater Sam, kurz
bevor er starb. Alt an Jahren starb, während ich in der Blüte
meines Lebens bin. Die Dorfneugründung war ein völliges Desaster.
Wäre ich doch nie auf die Idee gekommen. Wie mag es jetzt meinen
Kindern auf der alten Insel gehen? Ich wünsche ihnen Glück und
Frieden. Ich wäre jetzt gerne bei ihnen. Heute Mittag ging ich noch
einmal im Wald spazieren, bevor mir auch dafür die Kraft fehlt.
Neben dem Ort, in dem der Ruhegarten
war, habe ich dabei einen großen, rechteckigen Bereich gesehen, auf
dem Worte standen. Meine Augen sind trüb geworden, so das ich nur
die Überschrift aus meinem Wald heraus lesen konnte. Ich las „Spot
on“, was auch immer das heißen mag. Jetzt muss ich den Stift
hinlegen. Ich bin müde und mir ist so kalt.
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